Wie läuft eine Gesangsstunde ab?

Wenn du noch nie Gesangsunterricht hattest, fragst du dich sicherlich, wie eine Gesangsstunde abläuft. Deshalb möchte ich dir in diesem Artikel zeigen, was dich im Gesangsunterricht bei mir erwartet.

 

 

Ich folge mit meinem Gesangsunterricht einem Muster, das auch viele andere Kolleginnen und Kollegen anwenden. Es kann aber vorkommen, dass ich einige Kleinigkeiten anders mache, als dein Vocal Coach.

Idealerweise besteht der Unterricht in meinem Gesangsstudio aus drei Teilen: dem Warm Up, der Gesangstechnik und der Songarbeit. Dazu später mehr.

 

Das Gewicht dieser Teile kann von Stunde zu der Stunde variieren und hängt von mehreren Faktoren ab.

  • Kommt ein Sänger vollkommen abgekämpft von der Arbeit, braucht er ein ausgedehnteres Warm Up, um nicht nur körperlich-stimmlich, sondern vor allem mental anzukommen. Es ist manchmal gar nicht einfach, den Alltag abzuschalten und sich auf das Singen einzustellen.
  • Hat ein Sänger sehr viel gesprochen, lege ich im Einsingen viel Wert auf stimmschonende Übungen. Wir brainstormen zusammen, wie der Sänger verhindern kann, im Job stimmlich ausgelaugt zu werden. Sein Beitrag zu einer guten Gesangsstunde fängt mit dem Schlafengehen am Vorabend, spätestens jedoch mit dem Aufstehen am Morgen an.
  • Auch ein Sänger, der die letzten Reste einer Erkältung niederkämpft, profitieren von stimmschonenden Übungen. Dazu eine kurze Wiederholung der Stimmpflege-Regeln, die für ihn funktionierten. Danach machen wir eine Variante der Songarbeit: Wir unterhalten uns über die letzten Songs, die er gesungen hat, und welche als nächstes in Frage kommen; wälzen Songbooks in meiner Musikbibliothek; analysieren Coverversionen auf Youtube; machen Artikulationsübungen, die für die aktuellen Songs helfen.
  • Möchte ein Sänger in den nächsten Monaten an Auditions teilnehmen, konzentrieren wir uns für einige Wochen ausschließlich auf die Gesangstechnik, um eine gute Grundlage herzustellen. Je näher die Auditions rücken, desto stärker legen wir den Fokus wieder auf die Songarbeit, so dass die Songs bühnenreif werden.
  • Steht ein Sänger kurz vor einem wichtigen Gig, arbeiten wir ausführlich an den Songskills und der Vorbereitung des Auftritts.

 

Aber was genau macht man jetzt im Warm Up, bei der Gesangstechnik und der Songarbeit?

 

Den Motor zum Laufen bringen: Warm Up

Das Einsingen oder Warm Up ist genau das, wonach es klingt. So wie Sportler sich warm laufen und ihre Muskeln dehnen, bevor der ernsthafte Teil des Trainings beginnt, dürfen sich auch Sänger “warm singen”.

Damit kläre ich die Tagesverfassung des Sängers und gebe ihm Gelegenheit, sich mental und körperlich auf “Singen” einzustellen. Es kommt dabei nicht auf die Leistung an (höher, schneller, lauter), sondern ich schaue, wie der Sänger an diesem Tag drauf ist und wie seine Stimme auf den bisherigen Tag reagiert hat. Darauf aufbauend biete ich ihm Übungen an, die ihn eingrooven und für das eigentliche Stimmtraining vorbereiten. Deshalb sind Warm Up-Übungen auch anders als Gesangsübungen.

 

Den Motor abstimmen: Gesangstechnik

Danach folgt die eigentliche, gezielte Arbeit an der Stimme. Eine gute Gesangstechnik ist der Schlüssel zu einer ausdrucksvollen und leistungsfähigen Stimme. Deshalb nimmt dieser Teil auch einen Großteil der Stunde ein.

Das Ziel ist es, dem Sänger eine Art zu singen beizubringen, die effektiv und gesund ist, und sich an den Anforderungen des Populargesangs orientiert. Wie setzt er sein Instrument ein? Welche Teilaspekte können noch verbessert werden? Gesangsübungen sind dabei das Mittel der Wahl.

Gesangsunterricht und im besonderen die Arbeit an der Gesangstechnik ist eine Teamleistung. Der Sänger bestimmt die grobe Fahrtrichtung. Was will er können? Wie will er klingen? Welche Ziele verfolgt er? Als Vocal Coach ist es dann meine Aufgabe, die Fahrtroute zu bestimmen. Manchmal sind Umwege und Panoramastrecken nötig, weil erst noch Voraussetzungen geschaffen werden müssen.

 

Den Motor feintunen: Songarbeit

Songs singen – das ist der Teil, den die meisten Anfänger mit Gesangsunterricht meinen. Im letzten Teil der Stunde singen meine Sänger aber ihre Songs nicht einfach herunter und berauschen sich an ihrem eigenen Klang, sondern sie arbeiten daran. Songarbeit ist nämlich die Anwendung der Gesangstechnik im Song, und die Möglichkeit, deine stilistischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

Wir schauen also, was deine Stimme bereits leisten kann und wo die Songs noch mehr von dir fordern. Im Hinterkopf steht bei mir immer das Endziel “Auftritt”.

Meine Sänger bestimmen die Songs, die sie singen. Dadurch sind sie  motivierter, die Gesangsübungen im zweiten Teil zu machen und zuhause zu üben. Nicht alle Songs können wir gleich umsetzen – manches ist noch zu schwer für ihre aktuellen sängerischen Fertigkeiten. Bei dieser Auswahl helfe ich gern als Dolmetscher an der Schnittstelle zwischen Sänger und Song.

Ich unterrichte auch nicht alles. Ich kann meinen Sängern klassische Lieder und Arien beibringen, weil ich selbst viele Jahre klassisch trainiert wurde. Ich kann Schlager unterrichten, Jazz, Blues, und Gospel. Meine Expertise ist es jedoch nicht oder nicht mehr. Deshalb konzentriere ich mich auf Pop, Rock und Musical Theatre. Wenn sie jedoch damit leben können, dass ich nicht auf alle ihre Fragen eine Antwort haben werde, bin ich auch zu stilistischen Ausflügen bereit.

 

Ein paar Details aus meinem Unterricht

Jeder Gesangslehrer oder Vocal Coach entwickelt mit der Zeit sein spezifisches Unterrichtsmodell. Im Groben baut es auf den 3 gerade genannten Bereichen auf, aber die Details sind unterschiedlich.

 

[Ich bin flexibel.] Die Stunde mit einem Kanon beginnen? Mittendrin Körper- und Atemübungen, weil der Rücken ziept? Spontan einen neuen Song ausprobieren, der dem Sänger einfach nicht mehr aus dem Kopf geht? Zum Abschluss einen altbekannten Schinken schmettern, um sich auszutoben? Es gibt kein Richtig oder Falsch – und ob es falsch für dich ist, finden wir nur heraus, wenn wir es ausprobieren.

[Mein Unterricht ist orientiert sich an den Ideen und Wünsche meiner Sänger.] Die Fahrtrichtung stammt von ihnen. Ich tue das nicht, weil ich mir das Leben leicht machen möchte, sondern weil ich will, dass der Unterricht wirklich etwas in ihrem Leben bewirkt. Das tut es nur, wenn die Gesangsstunde individuell sind.

[Ich bin nur der Trainer.] Ich zeige meinen Sängern, wie sie von A nach B kommen und welche Optionen es unterwegs gibt. Wenn meine Sänger das Fahrtziel vorgeben, schlage ich dir Route vor.

[Home Practice ist lebenswichtig.] Ich verteile in jeder Stunde Aufgaben, die meine Sänger zuhause weiter bearbeiten sollen bzw. Dinge, auf die sie beim Üben zuhause achten dürfen. Oft sind das kurze, prägnante Übungen, die in wenigen Minuten erledigt sind. Doch nur weil sie so winzig sind, heißt das nicht, dass sie unwichtig sind. Das Prinzip dahinter nennt Alexander Heyne “Gewohnheitenpyramide”. Sehr oft konzentrieren wir uns nur auf das Ziel, den obersten Stein einer Pyramide, und vergessen dabei, dass die Grundlagen, die drei, fünf, acht, zehn Reihen Steine darunter erst ermöglichen, dass wir der Pyramide die Spitze aufsetzen können. Die Aufgaben, die ich meinen Sängern gebe, klingen manchmal, als hätten sie nichts mit dem Ziel zu tun. Aber wenn du anfängst, die erste Reihe Steine zu legen, schaut auch eine Pyramide noch nicht nach einer Pyramide aus, richtig?

[Ich liebe es, wenn meine Sänger aktiv singen lernen wollen.] Viele bringen eine SD-Karte mit, damit wir die Stunde oder Teile davon mit meinem treuen Zoom H2 Aufnahmegerät aufnehmen. Manche haben sich dadurch eine ganze Audio-Bibliothek an Übungen zusammengestellt, mit denen sie zuhause üben. Andere lieben ihre Aufnahmen wegen meiner Kommentare zu den Übungen. Wiederum andere hören sich die Aufnahmen an, während sie den Haushalt schmeißen.

[Der Sänger ist der Anführer der Band.] Als Anführer dürfen meine Sänger bestimmen, wie sie begleitet werden möchten – von mir am Klavier oder der Gitarre? von einem Backing Track? selbst begleitet an der Ukulele? Gern. Die Begleitung passt ihnen an dieser oder jener Stelle nicht? Dann gebe ich gerne Tipps, was sie (oder wahlweise ich) anders machen können.

 

Nebenschauplätze

Noch so ein Detail-Ding, das jeder Vocal Coach ein bisschen anders handhabt. Manche Sängerthemen sind auf der einen Seite so kurz abgehandelt, dass sie keinen eigenen Block innerhalb der Stunde bekommen, oder brauchen auf der anderen Seite mehrere Wiederholungen über einen längeren Zeitraum. Ich streue sie deshalb gelegentlich ein, wenn der Sänger, der gerade vor mir steht, es gerade braucht.

 

Fazit

Wie läuft Gesangsunterricht ab? Jeder Gesangslehrer verleiht seinem Unterricht eine eigene Note, weil die Bereiche Warm Up, Gesangstechnik und Songarbeit unterschiedliches Gewicht habe. Auch die Zusatzthemen und die kleinen Details machen, neben der Persönlichkeit des Coaches, den Unterschied aus.

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2 Kommentare
  1. Michaela Parupka-Hoffner sagte:

    Ich habe noch nie so herrlich detaillierte Infos auf einer Seite gelesen. Respekt!
    Schade dass Sie so weit weg sind ansonsten würde ich sofort mein Enkelkind bei Ihnen anmelden. Ich wünsche Ihnen viele liebe Sängerinnen und Sänger
    Freundliche Grüße

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