Mach dein Gesangstraining effizienter mit der rotierenden Aufmerksamkeit

Fühlst du dich manchmal überfordert von den hundert kleinen Dingen, die du üben sollst? Wenn du manchmal einfach nicht weißt, wo dir der Kopf steht, dann ist dieser Artikel genau für dich. Heute möchte ich dir zeigen, wie du Orientierung und Fokus zurückgewinnst.

 


Jeder Sänger kennt seine Schwachstellen. Und in jeder Gesangsstunde gibt dein Vocal Coach dir Übungen, wie du sie abbauen kannst und Hinweise, was du beachten sollst.

So viele Aufgaben!

Und du bekommst ein flaues Gefühl im Magen.

So wenig Zeit!

 

Stress abbauen und Abwechslung schaffen

Singen lernen findet in Spiralen statt. Viele Themen wirst du immer wieder aufgreifen, bis dein Körper sie automatisch abrufen kann. Und was im Großen mit Themen wie Intonation und Support funktioniert, kannst du auch prima im Kleinen im Gesangstraining anwenden.

Gerhard Mantel beschreibt das Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit in seinem Buch “Einfach üben – 185 unübliche Rezepte für Instrumentalisten”.

Statt an alles gleichzeitig zu denken, empfiehlt er, die Konzentration immer nur auf eine Sache zu lenken und den Rest kommen zu lassen, wie er halt kommt.

 

Und das geht so:

  1. Du suchst dir eine konkrete Stelle im Song oder eine Übung auf einer konkreten Tonstufe aus, die du üben möchtest.
  2. Du singst sie mehrfach hintereinander.
  3. In jeder Runde konzentrierst du dich auf eine andere Aufgabe.

 

Mach eine Liste deiner Aufgaben, um alle Dinge im Blick zu behalten, die du besser machen – oder einfach nur überprüfen – möchtest. An einem Riesenrad wären das die einzelnen Gondeln. Deine Problemstelle oder deine Gesangsübung ist die Nabe im Riesenrad, um die sich die Gondeln drehen.

Wähle dann vor einem Durchlauf des Übens eine Aufgabe aus deiner Liste aus, auf die du dich konzentrierst. Am Beispiel des Riesenrads ist das eine Gondel, die du bei einer Umrundung des Riesenrads mit den Augen mitverfolgst. Alle anderen Gondeln behältst du nur aus dem Augenwinkel im Blick und lässt sie an dir vorbeiziehen, wie sie gerade kommen.

 

Der Kognitionswissenschaftler Dr. Benjamin Keep hat die dazugehörige wissenschaftliche Studie am Beispiel eines Videospiels erklärt.

 

Die rotierende Aufmerksamkeit kannst du in allen Bereichen des Singens anwenden. In der Gesangstechnik kannst du es wie oben beschrieben anwenden: Jede Tonstufe wiederholst du mehrfach, bis du alle technischen Details abgerufen hast.

In der Arbeit am Song kannst du die rotierende Aufmerksamkeit einerseits anwenden, wenn du einen Song lernst und die verschiedenen Aufgabengebiete Melodie, Intonation, Text, Rhythmus, Groove usw. im Blick behalten willst. Andererseits kannst du diese Übetechnik anwenden, wenn du einen Songfür eine Performance vorbereitest.

 

Die rotierende Aufmerksamkeit an einem Beispiel

Eine junge Sängerin bereitet gerade “People help the people” von Birdy für einen Auftritt vor.

Die größte Herausforderung für sie ist das ständig wechselnde Tempo. Intuitiv zu wissen, wie schnell oder langsam ihr Tempo 1 in den Strophen und im Chorus ist und im Kontrast dazu ihr Tempo 2 im Post-Chorus. Der Übergang von Tempo 1 am Ende des Chorus (“drag zu down”) zu Tempo 2 im Beginn des Post-Chorus (“oh, and if I had a brain”). Zu wissen, wann sie nach Fermaten einatmen und weiter singen soll (z.B. von “hardfaced queens of misadventure” zu “God knows what is hiding”).

Das sind bereits 7 Dinge, die sie konkret üben kann.

  1. Wie schnell ist ihr Tempo 1 und wie fühlt es sich körperlich und stimmlich an?
  2. Wie schnell ist ihr Tempo 2 und wie fühlt sich das an?
  3. Wie geht der Übergang von Tempo 1 zu Tempo 2?
  4. Die 4 Fermatenstellen. Jede einzelne ist eine Aufgabe für sich.

 

Ein weiteres Thema ist für sie der Einsatz der Kopfstimme im Chorus. Die Sängerin ist 13 und hat den Stimmwechsel weitestgehend durchlaufen. Ihre Kopfstimme fällt ihr momentan besonders schwer, weil sie den satten, vollen Klang der Bruststimme bereits gewöhnt ist und ihre Kopfstimme im Vergleich dazu hauchig und kraftlos wirkt.

Diese innere Skepsis vor ihren hohen Tönen macht den Chorus mit dem langen “PEO-ple” knifflig. Die Scheu davor, den Ton auszuhalten, hat sie bereits abgelegt. Aktuell besteht die Aufgabe darin, dass sie ihren Mund bei jedem Durchlauf so formt, dass Ton und Vokal stabil und resonant klingen, obwohl sie in ihrer schwachen Kopfstimme singt.

Das ist ihre Aufgabe Nummer 8.

 

Ein letztes Thema ist die Dynamik und damit die Gestaltung des Songs. Die haben wir bereits ausgearbeitet. Aufgaben Nummer 9 bis 11 sind, diese Abstufungen in der Lautstärke zu trainieren und bewusst vorher daran zu denken.

 

Genau diese 11 Aufgaben geht die Sängerin nun in ihrem täglichen Üben in loser Reihenfolge durch. Nicht immer schafft sie alle an einem Tag. Und das ist ok. Die Liste hilft ihr dabei, nichts zu vergessen und die rotierende Aufmerksamkeit sorgt dafür, dass sie sich an keiner Stelle festbeißt und sich gleichzeitig stetig verbessert.

 

Fazit

Das Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit zwingt dich, im Detail zu arbeiten. Das macht es so effektiv und zu einer starken Geheimwaffe beim Singen üben, egal ob du es für deine Gesangstechnik oder deine Songarbeit anwendest.

Was sind deine Erfahrungen mit dem Prinzip der rotierenden Aufmerkamkeit?

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