Sich selbst das Singen beibringen – Vorteile und Nachteile

Die Frage, ob man sich selbst das Singen beibringen kann, löst unter Sängern und Nicht-Sängern gleichermaßen eine hitzige Debatte aus. Um einzuschätzen, ob das gelingen kann, schauen wir uns am besten die Vorteile und Nachteile genauer an, die diese Art des Singenlernens mit sich bringt.

 

Zu allen Artikel der Blogserie “autodidaktisch Singen lernen” geht es hier.

 

4 gute Gründe, sich selbst das Singen beibringen zu wollen

Fangen wir mit den positiven Dingen an.

 

Du sparst Geld.

Das ist natürlich verlockend. Du willst die Kosten gering halten, denn du probierst es ja nur aus.

Sänger sind extrem verwöhnt: sie müssen ihr Instrument nicht erst kaufen. Das verleitet zu der Annahme, dass Singen lernen zum Einen nichts kostet – und niemals etwas kosten darf. Oder zum Anderen, dass es nichts wert ist – denn was nichts kostet, taugt nichts. Beide Standpunkte sind falsch.

Eine gewisse Grundinvestition gibt es in jedem Hobby. Daran zu sparen, bedeutet, dass du am Fortschritt sparst. Für den autodidaktischen Sänger heißt die Grundinvestition: Kursmaterialien und Hilfsmittel. (Auf beides gehe ich im Verlauf dieser Artikelserie noch genauer ein.) Trotzdem spart der Autodidakt Geld im Vergleich zum Sänger, der regelmäßig zum Gesangsunterricht geht. Die Kursmaterialien sind günstiger, weil die individuelle Betreuung durch einen Vocal Coach entfällt.

 

Du kannst direkt loslegen.

Das Selbststudium bietet dir einen ungehinderten Einstieg, mit viel Begeisterung und ohne langes Warten.

 

Du hast Zugriff auf fantastische Vocal Coaches in der ganzen Welt.

Dem Internet sei dank bist du heutzutage nicht mehr auf das Angebot in deiner Stadt begrenzt. Du kannst von Vocal Coaches aus der ganzen Welt lernen. Dadurch findest du leichter den passenden Lehrer oder den idealen Kurs. Du kannst die Richtung deines Lernens sehr genau bestimmen.

 

Du kann nach deinem eigenen Tempo lernen.

“Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne schmiedest” sang schon John Lennon. Es läuft nicht immer alles so, wie wir uns das vorstellen oder es planen. Das Selbststudium bietet dir die Gelegenheit, zu dem Zeitpunkt und auf genau die Art zu lernen, wie es in dein Leben passt.

 

4 Gefahren, sich selbst das Singen beibringen zu wollen

Jede positive Situation hat auch Nachteile.

 

Du hast einen großen Mehraufwand.

Sich selbst das Singen beizubringen ist aufwändig. Du musst genau wissen, welches Ziel du verfolgst. Um dieses dann auch zu erreichen, musst du dich dann mit vielen unterschiedlichen Aspekten beschäftigen, die zum Singen gehören.

Da sind die Dinge, die zum Singen an sich gehören: Atmung, Haltung, Tonerzeugung, Intonation, Tonformung, Artikulation, Höhe, Tiefe, Stimmeffekte, Resonanz.

Da sind die Dinge, die im Song angewendet werden: Melodie lernen, Text lernen, Gesangstechnik anwenden, Probleme bearbeiten, Songs polieren.

Und dann sind da die Dinge, die Sänger zu Musikern machen: Mikrofontechnik, Gig-Vorbereitung, Urheberrecht, Stimmgesundheit, Warm Up, effizientes Üben.

Nicht umsonst nennt Robert Lunte seine Sänger “Vocal Athletes”, Stimm-Athleten.

 

Du hast keine Kontrolle, ob du die Stimmübungen richtig ausführst.

Gesangsübungen sind das Fundament einer soliden Gesangstechnik. Wenn du nicht weißt, ob du sie richtig durchführst, trainierst du dir Fehler an.

Aus einem Fehler, den du stetig wiederholst, wird eine schlechte Gewohnheit. Und die ist hartnäckig.

 

Du bekommst keinen Rat, ob eine Übung für dein Problem die richtige Lösung ist.

Wie schön einfach wäre es, wenn Singen lernen wie eine Aufbauanleitung für Möbel wäre. Teil A in Loch B, festschrauben, fertig. Präzise, schnell, gut.

Leider, oder zum Glück, sind wir keine Möbel, sondern Menschen. Und wenn Menschen lernen, ist es immer ein bisschen chaotisch.

 

Die Bauteile sind in gesunden Menschen zwar gleich und sie funktionieren nach denselben Mechanismen. Aber wie wir sie benutzen, ist für jeden anders. Zum Beispiel sprechen ein Bayer und ein Hamburger ganz verschieden, obwohl sie mit denselben Bauteilen dieselbe Sprache sprechen.

Auch deine Überzeugungen spielen eine Rolle. Angenommen, du hattest im Kindergarten eine Erzieherin, die mit einer hohen, leicht schrillen Stimme gesprochen hat. Es kann sein, dass dich das damals unbewusst so genervt hat, dass du heute Probleme hast, deine Kopfstimme einzusetzen.

 

Doch zurück zum Singen lernen.

Was passiert nun, wenn du mit deinen ganz individuellen Überzeugungen und Mechanismen eine Gesangsübung singst? Ganz einfach: Es gibt eine 50%ige Chance, dass sie gelingt.

Gute Programme für das Gesang-Selbststudium haben einen ausführlichen “Troubleshooting”-Abschnitt nach jeder Übung. Manchmal ist dieser länger als die eigentliche Übung. Das ist gut! Der Vocal Coach, der das Programm erstellt hat, hat sich ausführlich Gedanken gemacht, was schief laufen kann. Er hat dir die Arbeit abgenommen.

Und was machst du, wenn es keine Infos zu einer Übung gibt? Dann kannst du die Übung weglassen oder du recherchierst selbst.

 

Das alles beugt leider trotzdem nicht der Gefahr vor, dass du Übungen trainierst, die noch weit über deinem Können stehen, oder dass eine vermeintliche Lösung dir nicht hilft, weil du das Problem falsch analysiert hast.

 

Du hast keinen sozialen Kontakt.

Wir machen Musik, weil wir etwas ausdrücken wollen. Wir könnten dafür Wörter benutzen (und Schriftsteller werden) oder unseren Körper (und Tänzer werden). Aber wir benutzen unsere Stimme. Und wir wollen damit in Kontakt zu unseren Mitmenschen treten.

Jeder Künstler kennt die “stille Kammer”: den Ort, an den er sich zurückzieht, um an seiner Kunst zu arbeiten. Doch irgendwann möchte er sich der Welt zeigen. Für Sänger sind das Auftritte.

 

Lange vor den großen Auftritten kommt das Singen vor anderen. Nicht vor Fremden, sondern vor Leuten, denen du vertraust: dem Coach, seinen anderen Schülern, anderen Sängern – eben jene, die alle mal an derselben Stelle standen wie wir. Dieses Training hilft dir, dich auf die großen Auftritte vorzubereiten.

Genau dieses soziale Netz fehlt beim autodidaktischen Stimmtraining. Die Gleichgesinnten, die es gut mit dir meinen, die aber im Gegensatz zu deinen Freunden und deiner Familie tatsächlich wissen, was du gerade emotional und mental durchmachst, weil sie es selbst erlebt haben.

Bei diesen Probe-Auftritten kannst du dich allein aufs Singen konzentrieren. Als Autodidakt erlebst du das maximal beim Karaoke oder einem Open Mic – und bist festgelegt auf die Songs, die die Bar im PC hat oder welche die Live-Musiker spielen können.

 

Fazit

Die Vorteile leuchten dir mit Sicherheit ein. Und auch, wenn ich die Nachteile etwas dramatisch beschrieben habe, solltest du sie nicht so leicht von der Hand weisen. Was ich mir für dich wünsche? Dass du deine Entscheidung für oder gegen das Selbststudium im Gesang gut überlegst. Schau dir beide Seiten der Medaille an, bevor du dich entscheidest.

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