Popgesang oder klassischer Gesang – Teil 2: Die Gemeinsamkeiten

Sänger haben die Wahl: Popgesang oder klassischer Gesang? Was haben sie gemeinsam? Wo unterscheiden sie sich? In dieser 3-teiligen Artikelserie lege ich beide unter das Mikroskop, damit du weißt, was Sache ist.

Im zweiten Teil schauen wir uns die Gemeinsamkeiten von Pop- und Klassik-Gesang an. Damit du weißt, worauf du beim Anhören von Sängern und bei der Auswahl deines Gesangsunterrichts achten kannst.

 

Teil 1: Was ist was? | Teil 3: Die Unterschiede | Teil 4: Hörbeispiele

 

Nachdem ich im ersten Teil erklärt habe, was Popgesang und klassischer Gesang sind, geht es heute um die Gemeinsamkeiten. Kein Entweder Oder, sondern ein UND. Denn das gibt es reichlich.

 

Sie sind Gesang

Die Gemeinsamkeiten von Pop- und Klassik-Gesang fangen damit an, dass beides Formen von Gesang sind. Mit ihnen kommunizierst du deine Werte, Vorstellungen und Überzeugungen. Durch sie erzählst du uns von der Welt.

 

Sie sind für jeden Menschen

Jeder Mensch kann singen, egal, wie alt er ist.

 

Zugleich muss ich diese Aussagen für Kinder einschränken. Es gibt Sänger, kaum älter als 10, die als „das nächste klassische Wunderkind“ bzw. „der nächste junge Popstar“ gefeiert werden. Ich bin kein Freund solcher Selbstzerstörung. Fakt ist:

  1. Kinder sind robust. Ihr Kehlkopf hält viel aus.
  2. Kinder haben nur wenig Körperbewusstsein und merken schlechter und später, wenn ihnen eine Aktivität nicht gut tut.
  3. Kinder besitzen einen kindlichen Kehlkopf. Dieser kann erwachsene Musik nur bedingt korrekt und schadenfrei bewältigen.

Wenn Kinder Songs und Arien singen, die für erwachsene Kehlköpfe geschrieben wurde und von eben jenen gesungen wird, tun sie sich selten etwas Gutes. Noch fördert dies aus meiner Sicht die natürliche Entwicklung eines Kindes.

Es gibt Ausnahmen, was nicht bedeutet, dass es für alle Kinder gut ist. Es ist ein schmaler Grat zwischen „Fordern und Fördern“ und „Überfordern und Schaden“.

 

Also: Pop und Klassik kann von allen pubertierenden und erwachsenen Kehlköpfen gesungen werden. Es ist nur eine Frage der Vorlieben.

 

Sie wecken Gefühle

Klassischer Gesang und Popgesang drücken die ganze Fülle menschlicher Emotionen aus. Du lässt uns teilhaben an deinen inneren Vorgängen. Nur die Stilmittel sind unterschiedlich.

 

Sie nutzen dieselbe Basistechnik

Die Gesangstechnik in ihrer elementarsten Form ist für Sänger beider Stilrichtungen gleich. Denn die Grundlage ist dieselbe: der menschliche Körper.

  • Du benutzt eine effiziente Atemtechnik.
  • Du setzt ihren Körper effektiv ein.
  • Du nutzt die Luft optimal zur Tonproduktion.
  • Du kannst Brust- und Kopfstimme benutzen.
  • Du kannst die Register ineinander übergehen lassen. Hier gibt es Unterschiede, auf die ich im dritten Artikel näher eingehe.
  • Du hast eine flexible Stimme. Auch dies in unterschiedlichem Ausmaß.
  • Du kannst in verschiedenen Lautstärken singen.

 

Die Ziele der Gesangsausbildung sind in beiden Stilistiken klar: Die optimale Nutzung des Kehlkopfs zur Tonproduktion. Und die Stimmgesundheit – du kannst deine Stimme so einsetzen wie du es willst oder benötigst, ohne dir zu schaden. Die richtige, dem Genre angepasste Technik hilft enorm. An der Basis ist Gesangstechnik jedoch einheitlich.

 

Sie verlangen elementare Musik-Skills

Musikalisch leben Popularmusik und klassische Musik auf verschiedenen Planeten. Es gibt aber vier Dinge, auf die du achten solltest.

  • Du hast deine Intonation im Griff.
  • Du bist rhythmisch sicher.
  • Du bist dir der Stilistik bewusst.
  • Du besitzt die nötigen Fertigkeiten in der gewünschten Stilistik.

 

Sie haben vielfältige Texte

Die einzige Sache, die Gesang von anderen Instrumenten unterscheidet, ist der Text. Die Botschaft, die du verbreitest.

Sowohl in der Popularmusik als auch in der Klassik kannst du über ergreifende, komplexe und tief schürfende Dinge singen. Das hörst du in „Heal the World“ (Michael Jackson), „Take Me to Church“ (Hozier) und „Try“ (Colbie Caillat) genauso wie in „Che faró senza Euridice“ (Christoph W. Gluck) und im „Heidenröslein“ (Franz Schubert).

 

Und manchmal regen die Texte eher nicht zum Nachdenken an. Zum Beispiel „Blue“ (Eiffel65) und „Chandelier“ (Sia) oder „Duetto buffo di due gatti“ (Gioachino Rossini) und „Poco Poppa Pizza and Mama Piccolo“ (Betty Roe).

 

Sie erschaffen Evergreens und One-Hit-Wonder

Die Songs und Gesangsstücke können einerseits zum Dauerbrenner werden. Das Publikum hört sie immer wieder und Sänger greifen sie immer wieder auf, egal wie viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte es her ist.

So ziemlich alles von Michael Jackson und den Beatles fällt darunter. Frank Sinatra begeistert noch genauso wie Metallica und The Rolling Stones.

Im klassischen Gesang werden Franz Schubert, Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart immer noch gern hervorgeholt. In Interpretationen von den Großen des klassischen Gesangsfachs: Jonas Kaufmann, Dietrich Fischer-Dieskau, Christa Ludwig. Maria Callas.

 

Andererseits gibt es auch immer wieder Triviales. Songs und Sänger, die sich nach wenig Erfolg als unwichtig herausstellen. Zum Beispiel Lumidee, Minnie Riperton und Rick Astley im Populargesang. In der Klassik Robert Franz.

Eine weitere Gemeinsamkeit sind Sänger, bei denen die öffentliche Meinung stark auseinander geht. Daniel Küblböck, Marc Medlock, Florence Foster Jenkins, Jackie Evancho und Amira Willighagen – die Letzten wegen der oben angesprochenen Frage um Alter und Angemessenheit.

 

Sie kennen keine musikalischen Grenzen

Das Repertoire beider Stile kann sowohl weltlich als auch geistlich sein. Von Stücken tiefer Religiosität und spiritueller Weite bis hin zu profanen Bekundungen und körperlicher Verbundenheit.

 

Sie sind Kunst

Klassik und Popularmusik sind Kunstformen. Beide unterliegen dem Kommerz. Er verlangt von den Sängern eine kontinuierliche Leistung, obwohl Menschen eindeutig keine Maschinen sind. Und das führt zur zwanghaften Perfektion.

Den Kommerz sieht das Publikum an den zahlreichen „Wunderkindern“, die in jeder Castingshow auftauchen. Die Fans sehen es auch, wenn ein Sänger nicht mehr so klingt wie zu Beginn des Erfolgs. Metallica wurde Mitte der 90er Jahre vorgeworfen, sie würden sich an den Mainstream verkaufen, weil die Alben „Load“ und „ReLoad“ deutlich runder geschliffen klangen als die ersten Alben.

Im Symphonic Metal hörst du sehr deutlich den Anspruch an Perfektion. Amy Lee von Evanescence wurde ausgebuht, weil sie im Livekonzert nicht so klang wie erwartet. Wie denn auch, wenn auf dem Album ein halbes Orchester eingespielt wurde und in der Performance „nur“ eine Band auf der Bühne steht! Gute Sänger passen ihren Ausdruck und ihre Energie an die veränderten Umstände an.

Das Publikum in der Mehrzweckhalle und im Konzertsaal gleichermaßen ist daran nicht unschuldig. Die ständige Verfügbarkeit von Konservenmusik erzieht es zu dieser Erwartungshaltung. Kommerz ist so gesehen der schlimmste Feind des Sängers – und zugleich der heilige Gral.

 

Fazit

Ich bin erstaunt, dass es so viele Gemeinsamkeiten von Popgesang und klassischem Gesang gibt. Mir stellt sich dabei eine Frage: Was wäre, wenn es nicht Popgesang oder klassischer Gesang heißt? Wenn wir – Publikum, Musiker, Musikliebhaber, Kritiker – die Grabenkämpfe sein lassen und uns gegenseitig mehr Verständnis entgegen brächten? Wie sähe das Ergebnis aus?

Was meinst du? Pop ODER Klassik? Oder Pop UND Klassik?

 


Verwandte Artikel:

MerkenMerkenMerkenMerken

MerkenMerkenMerkenMerken

MerkenMerkenMerkenMerkenMerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

Du fandest diesen Artikel interessant oder hilfreich? Dann teile ihn!

0 Kommentare

Hinterlasse ein Kommentar

An der Diskussion beteiligen
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert