Turbo Tips Üben #6: sich selbst aufnehmen
Von Sängern wird häufig das Unmögliche erwartet. Während sie singen und sich auf die richtigen Töne, Wörter und eine korrekte Gesangstechnik konzentrieren, sollen sie sich selbst gleichzeitig aufmerksam zuhören, um Schwachstellen zu identifizieren.
Leider ist es extrem schwierig, gleichzeitig zu singen und sich selbst zuzuhören. Es lenkt dich ab und verringert deine Fähigkeit, das Beste zu geben. Statt dich also selbst zu entzweien, drück den Aufnahmeknopf und konzentriere dich aufs Singen! Zeit zum Kritisieren ist später.
Sich selbst aufnehmen – Was es dir nützt
Zuerst einmal entlastet dich eine Aufnahme. Sie ist das Publikum – du bist der Performer. Das nimmt dir den Druck, dich auf gefühlte tausend Dinge gleichzeitig konzentrieren zu müssen. Stattdessen kannst du dich besser auf das Wesentliche konzentrieren.
Nikola Materne spricht in ihrem Buch „Popvokals – Der Weg zur eigenen Stimme“ (Henschel 2014, S.124; Rezension hier) einen weiteren Nutzen an:
„Die Aufnahme ist eine große Chance, sich selbst zu coachen.“
Sie ist dein Lehrer und dein Kritiker. Mit ihr klärst du Fragen, die dir während des Singens einfallen. So erhältst du objektives Feedback.
Außerdem trainierst du deine Hörfähigkeit. Je häufiger du dich selbst so hörst wie andere Menschen dich hören, desto besser wirst du Details wahrnehmen, die dir während des Singens nicht auffallen.
Video-Aufzeichnungen zeigen zudem sehr gut, was dein Körper während des Singens tut. Du siehst konkret, wo du ungünstige Spannungen aufbaust. Durch das neue Bewusstsein kannst du deine Körperwahrnehmung schärfen und zukünftig darauf achten, die schlechten Gewohnheiten nicht mehr zu tun.
Sich selbst aufnehmen – Für wen es geeignet ist
Ton- und Video-Aufnahmen sind für Sänger auf jedem Level hilfreich. Sowohl beim Üben als auch im Auftritt.
Ein Anfänger-Sänger kann sich in Ruhe auf seine Gesangstechnik konzentrieren und die Stimme während des Singens wahrnehmen, ohne das gerade Produzierte auch noch bewerten zu müssen. Es reduziert Überforderung und Ablenkung.
Ein fortgeschrittener Sänger bekommt dadurch objektives Feedback, ob alles wirklich so klingt, wie er es sich wünscht. Zwischen den Gesangsstunden kann er sich auf diese Art selbst coachen.
Sich selbst aufnehmen – Die technische Ausstattung
Sich selbst beim Singen aufzunehmen war noch nie so einfach wie heute.
- Mit einem Smartphone oder Tablet gelingen superschnell erste Sprach- und Videoaufnahmen. Auf den Klang solltest du jedoch keinen gesteigerten Wert legen. Durch Hintergrundrauschen und fehlende Einstellmöglichkeiten des Pegels ist die Klangqualität oft unterirdisch schlecht.
Update (17. April 2017): Ein externes Mikro für das Mobiltelefon ist bereits ein erster Schritt in die richtige Richtung. Für mein Sony Xperia gibt es zum Beispiel ein wirkliches gutes Stereo-Mic zum Aufstecken. Damit schaffst du bereits deutlich bessere Aufnahmen als mit dem internen Mikrofon des Handys. - Mit einer Webcam kannst du ganz passable Videoaufzeichnungen machen. Das eingebaute Mikrofon am Laptop hat meist jedoch nur Smartphone-Qualität. Ein separates Mikrofon, per USB oder Interface an den Laptop oder PC angeschlossen, liefert dagegen Ergebnisse, die bereits wesentlich mehr nach dir klingen.
- Mit einem Aufnahmegerät kannst du bereits sehr gute Ergebnisse erzielen. Die Geräte von z.B. Zoom und Tascam werden von vielen Profi-Musikern bevorzugt, wenn es um „quick and dirty“-Aufnahmen geht. Aufnahmegeräte sind transportabel, leicht zu bedienen, mit wenig Aufwand aufgebaut und bieten hochwertigen Klang zum kleinen Preis. Ich benutze meins nicht nur zum Üben, sondern zeichne damit auch Unterrichtsstunden auf, schneide eigene Auftritte mit oder benutze es, wenn beim Soundcheck niemand Zeit zum Zuhören hat.
- Mit Mikrofon, Audio-Interface, Mischpult, Laptop und Aufnahmeprogramm liefert dir das Home Recording das beste Ergebnis. Allerdings musst du die finanziellen Kosten und die Aufbauzeit mit deinem individuellen Nutzen abwägen. Für eine schnelle Aufnahme ab und zu beim Üben ist es mit Sicherheit zu aufwendig. Wenn das Equipment jedoch sowieso schon aufgebaut da steht, kannst du es natürlich nutzen.
- Mit einer Digitalkamera kannst du natürlich super Video-Aufzeichnungen machen. Wenn du obendrein noch ein externes Mikrofon anschließen kannst, umso besser.
Wenn du dich die ersten Male aufnimmst, wird die Klang- und Bildqualität wahrscheinlich noch nicht optimal sein. Lass dich dadurch nicht entmutigen. Eine Lernkurve ist normal und die Qualität wird mit zunehmender Benutzung der Geräte besser werden.
Wahrscheinlich wirst du dich auch unwohl dabei fühlen, dich selbst auf Band zu hören oder zu sehen. Auch das ist normal und geht vorbei. Im Artikel „Warum deine Stimme auf Aufnahmen anders klingt“ erkläre ich, warum Tonaufnahmen für viele Sänger eher ein notwendiges Übel sind.
Sich selbst aufnehmen – Hinweise und weitere Informationen
Bei dem ganzen Aufwand um das technische Equipment kann man schnell vergessen, worum es bei einer Aufzeichnung geht: um deinen Gesang! Konzentriere dich darauf, was du durch die Video- oder Tonaufzeichnung über deinen Gesang lernen kannst. Die Auswertung hinterher ist das Wichtigste. Konzentriere dich auf den Sound, als würdest du einem anderen Sänger zuhören. Versuche auch, das Gehörte davon zu trennen, wie du dich während des Singens gefühlt hast. Es spielt für die Aufnahme keine Rolle und verleitet dich dazu, Ausreden zu erfinden, warum etwas noch nicht so toll klingt.
Wer meint, die Kosten eines Home Studios mit einem Billig-Mikro aus dem Elektronikdiscounter niedrig halten zu können, ist hiermit gewarnt: „Good things ain’t cheap and cheap things ain’t good.“ Mit einem billigen Mic sieht es nämlich so aus: Du kauft dir ein Discounter-Mic, bist anfänglich zufrieden damit, stellst aber nach wenigen Malen Benutzung fest, dass dir die Qualität zu gering ist und kaufst dann doch ein zweites Mikrofon. Investiere dein Geld gleich in ein Qualitätsmikrofon. Die namhaften Hersteller (Shure, Rode, Sennheiser etc.) bieten gute Mikrofone bereits ab ca. 100 Euro an.
Stell dein Equipment so auf, dass du dich frei bewegen kannst. Halte das Gerät also nicht in der Hand. Dadurch eliminierst du Störgeräusche auf der Aufnahme.
Mach dich nicht abhängig davon. Auch ohne die ständige Kontrolle durch ein Aufnahmegerät solltest du ein Körpergefühl dafür entwickeln, wann du etwas „richtig gemacht“ hast.
Falls die Aufnahme ernüchtern ist und du nie wieder ans Mikrofon treten willst: Kopf hoch! Damit kämpft jeder Musiker. In einem solchen Fall hast du 2 Möglichkeiten: aufhören oder weiter üben.
Die Zeitschrift „Sound & Recording“ geht in ihrem Artikel „Demos aufnehmen im Proberaum und zuhause“ auf Aufnahmegeräte ein und gibt dir allgemein gute Tipps für schnelle Aufnahmen.
Sich selbst aufzunehmen trainiert den Unterschied zwischen Fühlen und Hören, wie der Artikel auf MoltoMusic beweist.
Fazit
Sich selbst beim Singen aufzunehmen ist heutzutage kinderleicht und geht schnell. Achte darauf, dass du den Zweck des Aufnehmens nicht vergisst: Du willst Feedback, um dich zu verbessern! Eine akzeptable Bild- und Klangqualität helfen dabei. Dann kannst du als Anfänger, als Fortgeschrittener und als Profi-Sänger davon lernen.
Hast du dich schon mal beim Üben aufgenommen? Was hast du dadurch gelernt?
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- Im „Turbo Tip Üben Nr. 5“ habe ich dir gezeigt, wie du durch Über-Üben deine Songs zügig auf Performance Niveau hebst.
- Das Lippenflatter und wie dir diese gesangtechnische Methode beim Üben hilft, sind Gegenstand des „Turbo Tip Üben Nr. 7“.
- Im Artikel „Equipment für Anfänger, Teil 2“ zeige ich dir neben dem Aufnahmegerät weitere Hilfsmittel, die dich als Sänger voran bringen.
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