Turbo Tips Üben #3: Chunking
Im heutigen Turbo Tip Üben stelle ich dir das Chunking vor – eine Lernstrategie, die sich perfekt für das Gesang üben benutzen lässt.
Das Chunking im Überblick
Der Begriff Chunking bezeichnet die Annahme, dass das Kurzzeitgedächtnis maximal 7-8 einzelne Informationsbröckchen speichern kann.
Diese Informationsbröckchen, bits genannt, sind winzig klein. Sieh dir den letzten Satz noch einmal genau an. Er besteht aus 7 Wörtern. 7 einzelne Informationen.
Nimm diesen Satz: „Alle meine Entchen“. Das sind nur drei Wörter, aber bestimmt hast du dabei die Anfangsmelodie des berühmten Kinderlieds gehört. Na, wie viele Töne waren das? Sechs.
Bits ermöglichen es dir, Informationen gezielt abzuspeichern. Sie können zu größeren, sinnvollen Einheiten zusammengefasst werden. Du merkst dir also nicht die sechs Töne c-d-e-f-g-g von „Alle meine Entchen“. Im Lauf deines Lebens hast du unter der Information „Alle meine Entchen“ gleichzeitig den Text (3 Wörter) und die Anfangsmelodie (6 Töne) abgespeichert.
Diesen Prozess des Zusammenfassens von Informationen nennt man „chunking up“.
Umgedreht funktioniert das auch („chunking down“). Teile ein schwieriges Musikstück, z.B. „Bohemian Rhapsody“ von Queen, in kleinere Abschnitte ein. Diese Abschnitte sind leichter erfassbar als der gesamte Song. Und damit kannst du ganz konkret schwierige Stellen üben.
Damit sind wir auch schon beim großen Nutzen des Chunking. Wenn du einen Song in kleine Abschnitte unterteilst,
- lernt er sich leichter.
- überfordert er dich weniger.
- prägt er sich besser ein.
- treten die Details besser hervor.
- nutzt du kurze Überzeiten sehr effizient.
- konzentrierst du dich besser.
- bist du motivierter.
Die Noten auf dem Leadhsheet sind dann keine wilde Ansammlung beliebiger Noten mehr. Sie ergeben Sinn, weil du die Muster darin, die Gleichheiten und Unterschiede erkannt und trainiert hast.
Ein Beispiel:
Im Notenbeispiel rechts siehst du drei Notenzeilen.
In der ersten Zeile siehst du die folgenden Töne: ccdcfeccdcgfcccafedbbafgf. Diese Tonkette ist lang und schwer zu lesen.
Um diese schwer lesbare Reihe von Tönen besser zu verstehen, teilst du sie mit Taktstrichen in Abschnitte (2.Zeile). So erhältst du vier Abschnitte: ccdcfe ccdcgf cccafde bbafgf, die schon leichter zu lesen sind. Aus einem großen, unlesbaren Chunk haben wird also 4 kleinere Chunks gemacht.
Wenn du diese jetzt ein paar mal singst, wirst du bald den Rhythmus herausfinden, der in der 3. Zeile steht. Zur besseren Lesbarkeit habe ich die Taktstriche dort gelassen, wo die Chunks enden. Nach ein paar Mal singen erkennst du mit Sicherheit, dass sich dahinter die Melodie von „Happy Birthday“ verbirgt. Und damit hast du die 4 kleinen Chunks wieder zu einem großen, aber sehr einprägsamen Chunk zusammengefasst – dem Songtitel.
Das Chunking in der Praxis
Soweit die Theorie. Jetzt zeige ich dir anhand von „Hello“ von Adele, wie Chunking in der Praxis funktioniert. (Aufgrund des Urheberrechts darf ich von diesem Song keine Noten veröffentlichen, aber ich denke, jeder kennt den Song und kommt mit meinen Beschreibungen klar.)
Die Einteilung in sinnvolle Abschnitte, die du dann gezielt üben kannst, fängt ganz vorn an.
- Die ersten großen Chunks ergeben sich dadurch, dass ich den Song in seine formalen Bestandteile aufteile. Diese sind Strophe 1 (beginnt mit dem Text „Hello, it’s me, …“), Strophe 2 (ab „Hello, can you hear me?…“), Strophe 3 ( ab „Hello, how are you? …“), Refrain (ab „So, hello from the other side, …“) und Bridge (ab „Ooo, anymore, …“).
- Danach teilst du diese Chunks erneut, weil sie noch viel zu groß sind, um praktisch mit ihnen arbeiten zu können. Die ersten Strophe zum Beispiel teilst du in die ersten vier Takte „Hello, it’s me, I was wondering if after all these years you’d like to meet.“ und die nächsten vier Takte „to go over everything, they say that time’s supposed to heal ya, but I ain’t done much healing.“
- Jetzt sind diese viertaktigen Chunks leider immer noch unhandlich, wenn du ein konkretes Problem an einer ganz bestimmten Stelle hast. Das bedeutet: erneutes Teilen in Chunks von nur 2 Takten. In der ersten Strophe also „Hello, it’s me“ und „I was wondering if after all these years you’d like to meet“. Mit diesen kurzen Bausteinen kannst du sehr sinnvoll arbeiten.
- Am einfachsten wird es, wenn du in diesen zweitaktigen Chunks Melodie und Text separat trainierst. So gewährleistest du, dass du die Speicherkapazität deines Kurzzeitgedächtnisses nicht überschreitest. (Erinnere dich, dein Gehirn kann nur 7-8 Einzelinformationen kurzzeitig speichern.)
Unter Umständen kannst du sogar noch kleinere Chunks bilden. Zum Beispiel, wenn dir in dem langen Teil „I was wondering if after all these years you’d like to meet“ die Aussprache nicht so deutlich gelingen will. Dann könntest du die Textverbindungen „was wondering“ oder „these years you’d“ herauspicken und diese ganz langsam sprechen und singen üben.
Oder wenn dir gegen Ende der ersten Strophe die Luft ausgeht, kannst du dir anschauen, ob du bei der Textstelle „supposed to heal ya but I ain’t done much healing“ in der Pause zwischen „ya“ und „but“ schnell und tief genug atmest.
Wenn du mit den Tönen im Refrain Probleme hast, könntest du dir die Melodie an der Textstelle „hello from the other side“ genau anschauen. Du erkennst schnell, dass „hello“ auf f4 startet, „from the“ eine kleine Terz höher liegt bei as4, aber dass bei „other side“ nur ein Tonschritt zu b4 macht. Es ist also ein Ausschnitt aus dem f-Moll-Dreiklang (f-as-c), der lediglich die ersten zwei Töne des Dreiklangs benutzt. Der tonale Abgang am Ende von „side“ sind übrigens dieselben Töne, diesmal nur umgekehrt, nämlich b-as-f.
Und dann?
Was kommt nach den winzigen Chunks, die du durch das chunking down, das Aufbrechen quasi, gewonnen hast?
Wenn du diese Mini-Chunks geübt und die Problemstellen eliminiert hast, fässt du sie wieder zu größeren Abschnitten zusammen. Du betreibst also chunking up.
Das ist wie puzzeln. Erst betrachtest du ein einzelnes Puzzleteil, bevor du es an das nächste Puzzleteil anlegst. Auf diese Weise erhältst du Stück für Stück das Gesamtbild, den fertigen Song.
Die Einsatzgebiet des Chunking
Machst du dir die Mühe mit dem Chunking, wirst du deine Songs definitiv sicher drauf haben und kein Bandmitglied behauptet mehr von dir, du hättest keine Ahnung von Musik.
Wenn du mit Noten arbeitest, kannst du nach folgenden Mustern in der Melodie Ausschau halten:
- Dreiklänge — Zum Beispiel im Refrain bei „hello from the other side“.
- Ausschnitte aus Tonleitern — Im Refrain bei „for everything that I’ve done“.
- Sequenzen
- Wiederholungen — In der 1. Strophe wird bei „wondering if after all these“ und „time’s supposed to heal ya“ dieselbe Melodie verwendet.
Im Rhythmus suche nach:
- gleichen Einsätzen – In der 2. Strophe bei „can you hear me“ und „I’m in Cal-…“
- gleichen Verzierungen
- Unterschieden im Allgemeinen – Im Refrain kommt bei „thousand times“ der Tonwechsel b4-c5-b4 auf Beat 1, bei „from the outside“ schon auf Beat 4. An beiden Stellen kommt der Abstieg der Melodie von b4 auf as4 jedoch auf 2+ im folgenden Takt – also eine Gemeinsamkeit.
- Taktwechseln – Findest du häufig im Rock, z.B. bei Queen und Metallica.
Arbeitest du hingegen mit Textblättern, dann zerschneide den Songtext und ordne ihn in logischen Chunks an. Häufig wird Musik platzsparend abgedruckt und nicht so, dass der musikalische Sinn auf einen Blick zu sehen ist. (Gleiches gilt auch für Notentexte.)
Auch die folgenden Mittel kannst du mit dieser Methode üben:
- Lautstärke
- für die Interpretation: die Hintergrundgeschichte
- bei Musicalsongs: darstellendes Spiel
Weitere Informationen über das Chunking
- Im Buch „Einfach Üben“ bespricht Gerhard Mantel die Methode des Chunking im Detail. Das Buch ist allerdings auf Instrumentalisten ausgerichtet.
- Pianistin Kerri Green erzählt im Artikel „Teacher Practice Tips – The Two Measure Technique“ von ihrer Motivation, die Bach Goldberg-Variationen in kleinen Abschnitten (jeweils 2 Takte) zu üben. Gemäß dem Sprichwort „Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt.“.
- Der Artikel „Musik entsteht im Kopf“ von Eckart Altenmüller erklärt Chunking anhand des Kinderlieds „Hänschen klein“ (Seite 8-9).
Fazit
Chunking ist eine sehr effektive Methode, um einen Song gründlich zu lernen. Es basiert auf der Annahme, dass das Kurzzeitgedächtnis maximal 7-8 Informationsbröckchen speichern kann.
Dabei brichst du den Song zuerst in kleinere Abschnitte, sogenannte Chunks, auf, bis sie eine leicht zu handhabende Größe haben. Im Idealfall sind das 2 Takte oder weniger.
Wenn du diese ausreichend geübt hast, setzt du die Mini-Chunks zu größeren Einheiten zusammen, bis du schließlich wieder beim kompletten Song angelangt bist.
Diese Übe-Methode garantiert dir, dass du deine Songs gründlich kennst und dich so leicht nichts aus der Ruhe bringt. Im Angesicht des Lampenfiebers bei einem Auftritt hilft jede Sicherheitsleine.
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- Das langsame Üben und was es nützt wird im „Turbo Tip Üben Nr. 4“ besprochen.
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