Singen üben – Alles, was du wissen musst

Mein Gesangsunterricht konzentriert sich auf das Wesentliche: die Arbeit mit dem Sänger und seiner Stimme. Manche Themen gehen da leider unter – z.B. das Üben. Singen üben ist jedoch ein wichtiger Baustein in deiner Gesangsausbildung. Hier erfährst du die grundlegenden Fakten, wie es geht.

 

Warum überhaupt Singen üben?

Jeder Instrumentalist muss üben. Warum sollte es im Gesang anders sein?

Wer singen übt, macht schnellere und größere Fortschritte! Solche Sänger verbessern sich in ihrer Ausdrucksfähigkeit und Gestaltung und nicht zuletzt in der Gesangstechnik.

Denn:

„Beim Üben versucht man ein sehr fein aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen zu erreichen und für die Anforderungen, die wir an uns stellen, eine verlässliche Grundlage zu schaffen.“

(Jessica Pawlitzki, „Deutschsprachige Schulen aus dem Bereich des ’non-classical singing‘ – ein Vergleich“, 2012, S.100)

 

Was kannst du im Gesang üben?

Zum Üben gehören verschiedene Elemente. Das aktuelle Repertoire möchte gelernt werden. Aber die Gesangstechnik sollte ebenfalls nicht zu kurz kommen.

Folgender Aufbau hat sich bei meinen Schülern als hilfreich erwiesen:

  1. Warm Up (erforderlich)
  2. Gesangstechnik (erforderlich)
  3. Repertoire (optional)
  4. Notizen machen (optional)

 

Im Detail sieht das so aus:

Im Warm Up bereitest du deine Stimme, deinen Körper (inklusive Atmung) und deinen Geist auf das Üben vor. Mehr zum Thema Einsingen findest du in meiner Artikelserie „Einsingen – So geht’s“.

 

Eine solide Gesangstechnik ist die wichtigste Qualität des Sängers. Achte darauf, dass du mit den Übungen deine Technik ausbaust oder in Form hältst. Statt 15 Übungen willkürlich abzuspulen konzentriere dich besser auf wenige Übungen, die dich in deinem aktuellen Stand fordern. Welche Schwerpunkte du in deiner Technik setzt und welche Übungen sich dafür eignen, besprichst du am besten mit einem professionellen Gesangslehrer. Jeder Sänger bringt andere Voraussetzungen mit und verfolgt andere Ziele.

Falls du mal sehr wenig Zeit zum Üben hast, solltest du nur an deiner Technik üben. Sie bringt dich als Sänger am meisten voran. Vor allem garantiert sie dir die größtmögliche Kontrolle über deine Stimme.

 

Das Repertoire ist der Teil, an den jeder sofort beim Thema Üben denkt. Schließlich sind Songs das, was man von Sängern im Allgemeinen wahrnimmt. Auch hier solltest du effektiv vorgehen. Greif dir gezielt die Schwachpunkte in den Songs heraus. Das kann eine ganze Strophe sein, oder auch nur 3, 4 Töne. Wenn du diese isoliert trainiert hast, setzt du sie wieder in den Song ein und singst den ganzen Song von vorn bis hinten durch. Dadurch kontrollierst du, ob du deine Schwachstelle beheben konntest.

 

Letztlich nützt dir all dein Üben nichts, wenn du dir keine Notizen machst. Schreib auf, welche Technik du geübt hast, welche Songs und welche Teile darin. Sonst fängst du am nächsten Tag wieder bei Null an.

 

Wann übst du singen?

Die meisten Fortschritte machst du, wenn du regelmäßig übst, am besten täglich. Falls das nicht möglich ist, übe mindestens viermal in der Woche, um in Form zu bleiben.

Es ist außerdem besser, täglich eine kurze Einheit  zu üben, als an einem Tag in der Woche drei Stunden lang. Singen ist Sport. Um eine gleichbleibend gute Leistung zu liefern, muss die Stimme häufig trainiert werden.

Versuche, jeden Tag zur gleichen Zeit zu üben und vor allem dann, wenn du ungestört bist. Damit wird das Üben zur täglichen Routine und du bist weniger versucht, das Üben ausfallen zu lassen.

 

Wie lang sollte das Üben dauern?

Die Antwort auf diese Frage ist sehr individuell. Sie variiert nach deinem sängerischen Level, deiner Gesundheit und den Auftrittsanfragen.

Meiner Erfahrung nach sind 30 Minuten eine angemessene Dauer für Anfänger. Solch ein Block passt in jeden Terminplan und du machst Fortschritte, die sich hören lassen können.

 

Die 30 Minuten lassen sich zum Beispiel so aufteilen:

  • 5 Minuten Einsingen
  • 10 Minuten Gesangstechnik
  • 15 Minuten Repertoire

 

Diese Aufteilung muss nicht jeden Tag genau so aussehen. Betrachte es als eine Richtlinie. Wenn es mal anders kommt, ist das auch ok. Aber ein grober Plan hilft dir dabei, deine wertvolle Zeit nicht mit stumpfem „nur singen“ zu vertrödeln.

 

Wo sollte das Singen üben stattfinden?

Als Sänger hast du den großen Vorteil, dass du nicht viel Platz zum Üben brauchst. Neben ein bisschen Bewegungsfreiheit solltest du aber noch ein paar Dinge beachten.

 

Es ist hilfreich, wenn du für das Üben einen festen Ort hast. In der Regel ist das dort, wo das Klavier oder Keyboard steht.

Das Team von Stimmste?! hat die vier wichtigsten Räume zusammengetragen, an denen du üben kannst.

Dort solltest du auch deine anderen Hilfsmittel aufbewahren. Ich empfehle neben dem Klavier einen Notenständer, einen Ganzkörperspiegel, Bleistift und Notizzettel, ein Metronom, ein Aufnahmegerät und deine Noten.

Wenn alles bereit liegt, kannst du sofort mit dem Üben loslegen. Alles, was du benötigst, ist in Reichweite. Damit vertrödelst du deine Zeit nicht sinnlos mit Suchen und kannst dich besser konzentrieren.

Wichtig ist auch, dass du dich dort wohlfühlst und für dich bist. Niemand verbringt gern viel Zeit auf einem staubigen Dachboden oder einem muffigen Keller! Der Raum sollte ein Fenster haben, so dass du Tageslicht und Frischluft bekommst, und helle Beleuchtung zum Arbeiten.

Der Raum sollte auch groß genug sein. In einem kleinen Abstellzimmer wirst du nur wenig an deiner Resonanz und Projektion arbeiten wollen. Beides brauchst du für Auftritte, denn die finden nunmal in großen Räumen statt.

 

Was kannst du noch beachten?

Deine Verhaltensweise bestimmt, wie dein Üben läuft. Deshalb hier in aller Kürze die wichtigsten Hinweise.

Übe mit voller Konzentration. Das ist wichtiger als die exakte Einhaltung deiner Übedauer. Wenn nach 20 Minuten voller Konzentration nichts mehr geht, dann hast du wenigstens diese Zeit sinnvoll genutzt. Weiter zu üben macht wenig Sinn, denn dann häufen sich die Fehler.

Zum Thema Konzentration gehört auch, dass du Störquellen abstellst. Im Klartext: Schalte dein Mobiltelefon stumm, den Fernseher ab und schließe die sozialen Netzwerke.

Eltern, Geschwister oder Mitbewohner sollten es respektieren, wenn du übst. Angst vor ungewollten Zuhörern sollte unbedingt vermieden werden! Du willst beim Üben deine Stimme frei schwingen lassen. Das geht nicht, wenn du durch Zuhörer gehemmt bist.

Konzentriere dich auf deine Gesangstechnik. Sie ist das Fundament deines Gesangs. Deine Songs sind immer nur so gut wie deine Technik. Vernachlässige sie nicht beim Üben, nur weil es schwer ist.

Hab Geduld mit dir. Üben kann manchmal frustrierend sein. Das ist ok. Etwas Neues zu lernen gleicht manchmal dem Erklimmen deines ganz persönlichen Himalayas. Dafür ist es umso befriedigender, wenn das Neu Erlernte sitzt. Tausche dich auch mit anderen Sängern über deine Hindernisse aus. Ich bin durch solche Gespräche schon an die besten Tipps und Herangehensweisen gekommen.

Über die richtige Reihenfolge im Repertoire-Teil des Übens gibt es dutzende Meinungen. Planlos durcheinander zu üben hilft mir persönlich, wenn der Tag besonders anstrengend war. An einfachen Tagen stelle ich mir auch bewusst Herausforderungen, indem ich mit dem Schwersten anfange und mich bis zum Leichtesten durcharbeite. Vor Konzerten fange ich mit den Auftrittsstücken an. Und wenn komplett neue Songs anstehen, übe ich oft zuerst das, worauf ich grad am meisten Lust habe.

Achte beim Üben immer auf eine gute Körperhaltung. Steh aufrecht und locker gespannt, erinnere dich an die Tiefatmung und den korrekten Support. Dein Körper ist dein Instrument. Nutze ihn, um deinen Gesang zu vereinfachen.

Achte auf die Signale, die dir deine Stimme gibt. Wenn sie sich müde anhört, hör auf. Wenn du kränkelst oder deine Tonproduktion durch anderen Faktoren beeinträchtigt ist, kann singen schädlich sein.

Aber: Kleinere Wehwehchen wie Kopfschmerzen sollten dich nicht vom Üben abhalten. Das kann dir auch kurz vor einem Konzert passieren, und dann sagst du wahrscheinlich nicht einfach so ab. Also übe, auch mit solchen Ablenkungen klarzukommen.

Plane Pausen ein, um der körperlichen und geistigen Ermüdung entgegen zu wirken. Erwachsene können sich für zwanzig bis dreißig Minuten konzentrieren, danach solltest du dich kurz entspannen.

Letztlich gilt, dass du bereit bist, deine Überoutine zu verändern, wenn etwas nicht passt. Nach einer Krankheit wirst du mehr Zeit für Einsingen und Gesangstechnik benötigen. Am Auftrittstag eher nur Einsingen und kurze Ansingproben aller Songs. Bleib flexibel und passe den Ablauf deines Übens deinem Leben an.

 

Fazit

Singen üben macht viel Spaß, wenn du dir im Voraus Gedanken machst. Plane voraus, aber nutze auch die Freiheit, dass du am nächsten Tag ein ganz anderes Setup haben kannst. Experimentiere so lange, bis du mit deiner Überoutine zufrieden bist und die Fortschritte machst, die du dir wünschst.

 

Was hilft dir ganz besonders beim Üben?

 


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2 Kommentare
  1. Alicja sagte:

    Liebe Jessica, vielen Dank für den super Artikel. Die Idee eine Rubrik mit Schülerfragen zu „eröffnen“ finde ich auch sehr großartig. Ich bin klassische Sängerin und Gesangspädagogin, treffe aber auf ähnliche Fragen und Probleme, wie Pop/Jazz-Gesanglehrer. Das Gehör gehört meiner Meinung nach zur musikalischen und sängerischen Ausbildung dazu – klingt einfach schöner und fühlt sich besser an, wenn die Töne sauber sind. In meinem Workshops arbeite ich viel mit der relativen Solmisation , das hat sich ganz gut bewährt, auch wenn es etwas Mühe und Zeit kostet. Was mich jetzt wieder auf die Idee bringt, darüber einen Blog-Artikel zu verfassen … mal sehen. Ich danke Dir jedenfalls und sende liebe Grüße aus Köln Alicja

    Antworten
    • Jessica Pawlitzki sagte:

      Vielen Dank, Alicja!

      Ich bin sehr gespannt auf deinen Solmisations-Artikel. Mit meiner Handvoll Klassik-Schülern habe ich dieses Jahr auch damit begonnen, und zwar technische Übungen auf Solmisationssilben (bewegliches Do). Es ist erstaunlich mitanzusehen, wenn der Groschen endlich fällt, weil sie die Verbindung zwischen Notenbild und bisher nur gehörter / gesungener Übung machen. Ihre Intonation und generell auch die Erfassung neuer Melodien machen riesige Fortschritte.

      Darf ich fragen, wie du zur Solmisation gekommen bist? Ich hab mich viele Jahre davor gescheut, weil es nicht Bestandteil meiner musikalischen Ausbildung war und ich einfach nicht wusste, wo ich anfangen soll.

      Antworten

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