Was macht einen Song einfach zu singen?
In meiner Unterrichtspraxis schaue ich manchmal in ratlose Gesichter, wenn es um Songs für Anfänger geht. Viele Sänger wissen nicht, welche Kriterien einen Song einfach machen. Genau darum soll es heute gehen. Denn dann kannst du leichter die passenden Songs für dich finden.
Anfänger haben noch nicht die Fähigkeiten eines erfahrenen Sängers. Die Songauswahl ist deshalb enorm wichtig. Der Song soll den Anfänger-Sänger fordern und in seiner Entwicklung unterstützen, ohne ihn zu überfordern.
Lass uns dazu im ersten Teil des Artikels einen Blick auf die Grundlage werfen: darauf, was Einsteiger schon können. Im zweiten Teil geht es dann um die Songs und ihre Anforderungen.
Was ein Anfänger im Gesang kann
Um die richtige Grundlage für die Songauswahl zu haben, solltest du wissen, was ein Einsteiger-Sänger kann. Es sind grobe Verallgemeinerungen, die sich im Laufe meiner Unterrichtszeit herauskristallisiert haben.
Stimmumfang
Anfängersänger singen in der Regel in einem kleinen, bequemen Tonbereich. Gemessen daran, wie sich der Stimmumfang in der Gesangsausbildung erweitert, liegt diese Komfortzone im mittleren bis mittleren-unteren Bereich des möglichen Umfangs.
Atmung
Anfängersänger können häufig nur kurze Töne und Phrasen singen und atmen oft in Hochatmung. Die für das Singen notwendige Bauchatmung und den Support kennen sie manchmal vom Hörensagen, können es jedoch nicht oder nicht kontinuierlich anwenden.
Klang und Lautstärke
Anfängersänger haben häufig einen natürlichen, mäßig lauten Klang, was an der Atmung und einer ineffizienten Nutzung des Vokaltrakts, dem eingebauten Verstärker, liegt. Stimmeffekte und Klangfarben können sie nicht oder nicht auf gesunde Art produzieren.
Häufige Probleme
Anfängersänger haben unter Umständen ein schlecht geschultes Gehör. Dadurch haben sie Probleme, Töne sauber zu singen und können sich in Modulationen (Tonartenwechsel innerhalb eines Songs) schlecht einhören.
Anfängersänger haben oft Probleme mit der Kopfstimme, die von „nicht vorhanden“ bis „ausbaufähig“ reichen kann. Sie ist jedoch notwendig, um hohe Töne kraftvoll singen zu können.
Wesentlich seltener ist es dagegen, dass sie keinen Zugang zur Bruststimme haben. Dieses Phänomen tritt eher bei Frauen mittleren Alters bzw. klassisch geschulten Frauenstimmen auf.
Anfängersänger haben häufig ein wenig ausgeprägtes Rhythmusgefühl. Manche finden keinen Beat oder können ihn nicht lange halten. Auch ist es nicht unüblich, dass sie nicht parallel den Beat halten und den Rhythmus korrekt dazu singen oder sprechen können. Die Motorik ist in dieser Hinsicht nicht ausreichend trainiert.
Warum ein Song einfach zu singen ist
Nehmen wir jetzt die Songs unter die Lupe. Sänger und Song sollen ja zusammenpassen, sonst sind Anfänger beim Singen schnell frustriert.
Tonumfang und Tessitur
Einfache Songs für Anfänger haben einen mäßigen Tonumfang. Mit dem Gesamtumfang bis zur Oktave oder None kommen viele Einsteiger gut klar. Popsongs mit weniger Tönen sind seltener. In meiner Song-Bibliothek befinden sich maximal 1% Songs, die lediglich eine Quinte oder Sexte umfassen.
Einfache Songs können innerhalb des benötigten Umfangs in drei Bereichen – hoch, mittel, tief – angesiedelt sein. Sie haben viel mehr Töne in einem oder zwei dieser Bereiche als in dem anderen. Dadurch singst du häufiger und länger in einem bestimmten Bereich, der sogenannten Tessitur. Wenn Anfängersänger einen geringeren Tonumfang haben, als das Lied verlangt, kann die Tessitur bei der Entscheidung helfen, ob sie den Song überhaupt singen sollten. Wer Probleme mit der Höhe hat, wird sich in einem Song mit tiefer Tessitur wohler fühlen als in einer hohen Tessitur.
Melodie
Einfache Songs haben eine einfache, einprägsame Melodie. Bekannte, kleine Intervalle erleichtern das Lernen.
Einfache Songs für Anfänger vermeiden Stimmeffekte und zu große Klangfarben-Wechsel und kommen dem natürlichen Sound von Einsteigern entgegen.
Notenwerte
Einfache Songs haben Notenwerte, mit denen Einsteiger klar kommen. Nicht zu lang ausgehaltene Noten, sonst gibt’s Probleme mit der Atmung und dem Support. Nicht zu kurz, denn dafür fehlt oft die Kontrolle über die Intonation und die Artikulation.
Einfache Songs ermöglichen es mit regelmäßigen Pausen, dass Anfängersänger erneut ruhig einatmen und sich auf die neu zu lernende Bauchatmung konzentrieren können.
Text
Einfache Songs haben nicht zu viel Text. Problematisch sind Songs wie „Read All About It“ von Emeli Sandé oder „Try“ von Colbie Caillat, die viel Text mit sehr wenigen Atempausen kombiniert. Das ist für die Artikulationswerkzeuge und die Atmung anstrengend.
Rhythmus und Tempo
Einfache Songs haben einen eingängigen Rhythmus. Überraschungen in Form von Triolen, häufigen Synkopen und plötzlich eingeworfenen Sechzehntelnoten bringen Anfänger schnell aus dem Konzept. Auch Taktarten jenseits des allgegenwärtigen 4/4-Takts können Metrum-Unsichere verwirren.
Einfach Songs haben ein machbares Tempo. Ist das Tempo zu langsam, sind die Phrasen zu lang und der Sänger hat Atemprobleme. Ist das Tempo zu schnell, kann es Probleme bei der Artikulation es Textes und der Intonation geben.
Harmonien
Einfache Songs für Anfänger haben eine sehr bekannte oder vorhersehbare Harmoniefolge. Sehr viele Popsongs kommen mit vier Akkorden oder weniger aus (Four-Chord-Songs) und bleiben in einer Tonart (keine Modulation).
Fazit
Songs und Sänger sollten nach Möglichkeit zusammenpassen, um Frust zu vermeiden. Du kennst nun die Kriterien, die für Anfänger einen Song einfach und gut zu bewältigen machen. Zudem weißt du, welche Baustellen viele Einsteiger noch haben.
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